Ich lese gerne Thriller, die im Umfeld von Vatikan und Papst spielen. Und seit ich mit Anfang dreißig in Argentinien als frisch promovierte Theologin an der Uni und in Favelas gearbeitet habe, bin ich verbunden mit der“ teología del pueblo“ und ihren Vertretern, wie P. Jorge Maria Bergoglio S.J., unserem Papst Franziskus. Bei dem Titel „Der Pakt gegen den Papst“ musste ich zunächst an einen neuen Thriller denken, als ich den Autor sah, war klar, dass es um Insiderinformationen aus dem Vatikan zu Papst Franziskus gehen wird. Andreas Englisch ist seit inzwischen Jahrzehnten Journalist im Vatikan und hat über die letzten drei Päpste, die ich auch erlebt habe – Johannes Paul II, Benedikt XVI. und Franziskus geschrieben. „Pakt“ und „gegen“ und „Papst“ schürten in mir dann, trotz Andreas Englisch, die Erwartung auf eine irgendwie thrillerhafte Lektüre. Auch deshalb, weil ich immer wieder von Widerständen konservativer – gerne auch deutscher - Bischöfe im Vatikan gegen Papst Franziskus und seine Überzeugung von einer barmherzigen, geschwisterlichen und sich wandelnden Kirche lese und hörte.
Ja, Andreas Englischs Vatikanbuch liest sich in weiten Teilen spannend. Er zieht einen hinein in seine Recherchen und konspirativen Dialoge mit seinen Gewährsmännern innerhalb und außerhalb des Vatikans, mit Bischöfen, Sekretären, dem sacerdotalen Mittelbau des Vatikans aus den Zeiten dreier Päpste. Ausgeschiedenen, verabschiedeten und solchen im Dienst. Wer im Vatikan arbeitet, scheint nichts mehr zu fürchten, als „an die Front“ zu müssen, dahin, weshalb wir denken, dass sie überhaupt Priester geworden sind: zu ganz normalen Gemeinden, um sie zu unterstützen und zu stärken, und zu denen am Rande der Gesellschaft. Man sitzt mit ihm an Orten, an die man ohne Englischs Kenntnis und Kontakte nie käme: im Flugzeug auf Papstreisen, in römischen Restaurants, einschlägigen Cafés mit Vatikanmitarbeitern mit Insiderwissen oder in Parks mit hochspezialisierten Kurienpriestern, Kirchenrechtlern oder Ökonomen, die ihr ruhiges römisches Leben lieben und keinesfalls durch einen Papst, der „aufräumt“, verlieren wollen; oder in Palästen der Familien des römischen Adels, die seit Jahrhunderten sicher im päpstlichen Dienst sind und sich als Papstfeinde entpuppen, weil sie unter Papst Franziskus erstmalig fürchten, ihre Macht zu verlieren. Weil er sie übersehe, nicht zu ihnen komme, sondern lieber in Gefängnisse oder zu Flüchtlingen gehe. Und weiter gelangt man zur „Schwulen-Lobby“ im Vatikan, die Feinde des Papsts seien. Sie wollen ihr unsichtbares, behütetes Leben weiterleben und nicht für die Öffentlichkeit sichtbar werden. Im Vatikan herrschen Kriegszustände – und das selbst unter den beiden Päpsten Benedikt und Franziskus.
Stoff für einen Thriller also? Nicht durchgehend. Englisch streift mit seinen Counterparts unterschiedliche theologische und kirchengeschichtliche Felder. Bei Themen wie der Geschichte von Christentum und Islam wird es langatmig, bei den thematischen – theologischen – Ausführungen zu Ehescheidung oder Homosexualität wird man mit notwendigen Informationen versorgt, es bleibt dabei spannend. Für sein Gegenüber im Vatikan besonders relevant sind die Sakramente. Sie seien Kirche erhaltend oder Kirche zerstörend. Weil vielen Katholiken hier wegen fehlender Sakramentenpraxis schlicht das Wissen und die Erfahrungen fehlen, sollte über dieses Thema ausführlicher, aber bitte spannend informiert werden.
Andreas Englisch verteidigt, ja, verehrt den Papst. Und er übergeht auch nicht seine Schwächen. Da, wo er aus Gesprächen heraus schreibt, überzeugt er. An Überzeugungskraft fehlt es ihm, wo er ohne Gesprächshintergrund spekuliert. Z. B. über Papst Franziskus´ Entscheidungskraft. Sie sei bereits vor seiner Papstwahl von den Jesuiten als Schwäche proklamiert worden. Z. B. festgemacht an seiner Haltung als Jesuitenprovinzial zu zwei gefangengesetzten Ordensbrüdern während der argentinischen Diktatur. Bis heute sei er zu zögerlich, z. B. bei seinem Vorgehen gegen seine Kontrahenten aus dem "Schwulenlager".
Dass Papst Franziskus eine Kirche will, die barmherzig ist, geschwisterlich und ganz nah beim Menschen, ist breit durch Franziskus selbst belegt, in Wort und Tat. Das bringt Englisch einem spannend nahe, denn das schürt den Argwohn und abgrundtiefen Hass seiner Feinde - und ist Stoff für einen guten Thriller.
Andreas Englisch: Der Pakt gegen den Papst. Franziskus und seine Feinde im Vatikan. München: Bertelsmann, 2020.
Sabine