„Kein klassisches Weihnachtsbuch“ – so bezeichnet die Theologin, Historikerin und Frauenseelsorgerin Annette Jantzen ihr neues Buch „Das Kind in der Krippe. Die Weihnachtsbotschaft – entstaubt, durchgelüftet, neuentdeckt.“ Nicht klassisch, aber echt ist dieses Weihnachtsbuch! Es erfüllt, was es verspricht.
Beim Durchgang durch das Inhaltsverzeichnis tauchen die Gestalten, Utensilien, Motive und Szenarien der klassischen Weihnachtsgeschichten auf, wie wir sie von den Kindheitsevangelien, von Gemälden und Krippenspielen her kennen. Sie werden in der Folge durch die Irrungen und Wirrungen eines langen Überlieferungsprozesses zurückverfolgt – „entstaubt, durchgelüftet“ - und in ihrer ursprünglichen Bedeutung ausgebreitet: Maria, die junge Frau, ihr Mann Josef und der Familienstammbaum, der neugeborene Jesus, Engel, Hirten und die drei Magier, Bethlehem, Herberge, Stall und Krippe, die Geburt, Windeln und die Flucht nach Ägypten. Alle, die zu dieser wunderbaren Geschichte dazugehören, können so „neuentdeckt“ werden.
Ja, zu dieser „Geschichte“. Denn das ist der Schlüssel, mit dem Annette Jantzen die Weihnachtsgeschichte aufschließt. Es gibt sie, weil es Jesus von Nazareth gegeben hat. Das ist historisch nachgewiesen. Es gibt sie, weil es Glaubensgeschichten gibt, weil Menschen ihre Geschichten mit ihm erzählt und aufgeschrieben haben. Das ist Literatur, Fiktion, keine nachprüfbare historische Wirklichkeit. Und das tut der Botschaft dieser Geschichte keinen Abbruch. Die Wahrheit Jesu - hebräisch Jeschua: der Retter und Befreier – wird dadurch nicht verfälscht, sondern im Gegenteil, sie wird zum Leuchten gebracht.
Ausgangspunkt für die Weihnachtsgeschichte ist, dass die Menschen um Jesus ihn und seine Botschaft nach seinem erschütternden Tod als lebendig, als „einen neuen Anfang“ erlebten. Sie wollten von diesem Jesus erzählen, ausdrücken, dass er "von Gott her" war. Sie erzählten also „vom Ende her“ (34) Dafür griffen sie zurück auf die ihnen bekannten literarischen Vorgaben und Sprachmuster ihrer Zeit. Mit den Formen des Stammbaums und der Geburtsgeschichte und ihren Motiven drückten sie von einer symbolischen Ebene her diese Wahrheit Jesu aus.
Annette Jantzen reißt den Verstehenshorizont der ersten Erzähler*innen und ersten Hörer*innen auf. Sie befragt die Weihnachtsgeschichte darauf hin, wie sie damals in den Ohren der Hörer*innen klang. Welche Geschichten wurden erzählt? Was bedeutete es ihnen, wenn von Hirten und Engeln, von Herbergssuche in den Feldern um Bethlehem, einer Jungfrauengeburt, Krippe und Windeln, Magiern mit ihren Gaben, einem träumenden Ehemann oder der Flucht nach Ägypten die Rede war? Sie liest die biblischen Texte der Weihnachtsgeschichte im Zweiten Testament bei den Evangelisten Matthäus und Lukas zusammen mit Texten des Ersten Testaments und Erkenntnissen zu Architektur und Kultur der Antike im Mittelmeerraum. Durch ein Entflechten, Neben- und Übereinanderlegen versucht sie zu erfassen, was die Weihnachtsbotschaft war – und ist. Das ist ihre Lesart, an die sie ihre Auseinandersetzung mit der Theologie- und Dogmengeschichte anbindet. Übrigens redet Annette Jantzen bewusst nicht vom Alten und Neuen Testament, sondern vom Ersten und Zweiten Testament, und löst sich schon dadurch von den vielen antijudaistischen Vorurteilen, die sich in der Geschichte des Christentums finden.
Ein kleines Beispiel zur Jungfrauengeburt:
Die Einzelelemente sind durch historisch-kritische Bibelforschung, feministische Theologie, Forschungen in Geschichte und Archäologie bekannt, aber es ist wirklich aufschlussreich, sie hier im Zusammenhang und mit dem begeisterten Ton der Theologin, Historikerin und Seelsorgerin zu lesen. So ist die Jungfrauengeburt Teil des kulturellen Bilderbestands der Antike mit der Funktion, auf der Bedeutungsebene von Gottes Realpräsenz zu erzählen. Durch einen Übersetzungsfehler vom hebräischen Text ins Griechische in der Septuaginta wird aus der vom Propheten Jesaja verheißenen „jungen Frau“, die ein Kind gebären soll (Jes 7, 14), eine „Jungfrau“. Die Treue zur Übersetzung der Septuaginta reicht bis in die deutsche Einheitsübersetzung, die wir im katholischen Gottesdienst verwenden, wo nicht geklärt wird, dass „Jungfrau“ eben „junge Frau“ bedeutet. Denn damit hat die katholische Dogmatik mit ihrem körperlich-faktischen Verständnis der Jungfrauengeburt immer noch Probleme und „tut dem Glauben nicht gut“ (S.49). Ihre Probleme hatten die Autor*innen und Hörer*innen des Ersten Testaments nicht, denn sie nutzten das Bild der Jungfrauengeburt „um Geschichten davon zu erzählen, wie alles angefangen hatte, wie es wurde, was es war, was das auf Gott hin bedeutete und was noch zu hoffen war. Sie konnten damit ins Wort bringen, dass es einen wirklichen Neuanfang geben kann, dass es Beziehungen ohne Besitzverhältnisse geben kann und dass in einem Menschenleben wirklich Gottes Gegenwärtigkeit aufleuchten kann.“ (S. 48) Spannend zu lesen ist für mich auch Annette Jantzens Deutung der Jungfräulichkeit in den Evangelien. Sie macht Ernst mit dem Wissen um das symbolische Sprechen in der Weihnachtsgeschichte und das Jungfräulichkeitsmotiv versteht sie „als Empowerment der Prophetin Maria, die keinen Mann brauchte, um Mutter zu werden.“ (S.50)
Wer Weihnachten neu entdecken will, dem kann ich Annette Janztens „Das Kind in der Krippe“ nur empfehlen. Es lässt die Weihnachtsbotschaft leuchten. Von mir eine unbedingte Leseempfehlung, sehr geeignet auch als Weihnachtsgeschenk!
Sabine