Guido Tonelli ist Physiker. Sein Spezialgebiet ist die sogenannte Teilchenphysik, also die Physik der Elementarteilchen, aus denen unsere Welt zusammengesetzt ist. Er hat am CERN in der Schweiz und am Fermilab in den USA gearbeitet. Beides sind Forschungszentren für Teilchenphysik mit riesigen Teilchenbeschleunigern. Diese Forschungen Tonellis bieten sozusagen den Hintergrund für sein Buch über die Zeit. Und ganz offensichtlich besteht ein großes Interesse an diesem ebenso faszinierenden wie sperrigen Thema. 2017 hatte Tonellis Fachkollege Carlo Rovelli mit „Die Ordnung der Zeit“ bereits einen Bestseller.
Tonelli ist ein guter Geschichtenerzähler. Und das macht den Reiz seines Buches aus. Es gelingt ihm immer wieder, abstrakte Erkenntnisse in Stories zu verpacken und anschaulich zu machen. Dabei bedient er sich aus dem Fundus seiner eigenen Familie, dem der europäischen Literatur oder der griechischen Mythologie. Er erzählt von Gedichten, gutem Wein und seinem Großvater Emilio Folgenani.
Emilio zum Beispiel arbeitete in den Marmor-Steinbrüchen der Apuanischen Alpen. Dort erlebte der wortkarge Mann am 15. Februar 1961 eine totale Sonnenfinsternis. Dieses Ereignis, das in Italien besonders gut zu sehen war, brachte ihn zum Reden. Denn es sprengte den normalen Rahmen der Zeit. Plötzlich war es am hellen Tag Nacht. „Die Zeit ist aus den Fugen“, wie es bei Shakespeare im „Hamlet“ heißt. Dieses Gefühl öffnete Emilio den Mund.
Tonelli beginnt seine Reise zu den Ursprüngen der Zeit in dem menschlichen Maßstab, in dem wir die Zeit erleben, und zwar als wiederkehrende: Tag und Nacht, Wochen, Monate, der Wechsel der Jahreszeiten. Kalender und Uhren werden im Laufe der Jahrhunderte immer präziser. Zeit wird zu einem wesentlichen Element unserer modernen, industrialisierten und digitalisierten Gesellschaft, die eben nur dann funktioniert, wenn die Handlungen aller Akteure präzise aufeinander abgestimmt werden. Wir erleben seit dem Beginn der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges, dass Lieferketten unterbrochen werden. Diese Unterbrechungen sind nichts anderes als Störungen im zeitlichen Ablauf der Ketten. Die Zeit, die wir erleben, ist meist eine Kreiszeit. Tag und Nacht, Geburt und Tod, die Jahreszeiten – all das sind wiederkehrende Ereignisse.
In Tonellis Welt der Physik dagegen ist die Zeit linear. Das klassische Bild der physikalischen Zeit ist der Pfeil. Tonelli widmet das zweite Drittel seines Buches dieser Physik. Es ist, wenn man so will, die Physik des großen Maßstabs: Newton und Einstein, klassische Mechanik sowie spezielle und allgemeine Relativitätstheorie. Je größer und universaler der Maßstab wird, umso weiter entfernen wir uns von unserem normalen, intuitiven Zeitverständnis. Es verschwindet buchstäblich hinter dem Ereignishorizont der Schwarzen Löcher. Im Zentrum der Galaxien herrscht schließlich Zeitlosigkeit.
Vor diesem Hintergrund führt die Frage nach der Zeit sehr rasch zu den großen Fragen: Wurde die Zeit beim Big Bang erst geschaffen? Gab es eine Zeit vor der Zeit? Ist „vor“ der Zeit nur Ewigkeit?
Vom ganz Großen geht es im dritten Teil von „Chronos“ ins ganz Kleine, Tonellis eigentliches Spezialgebiet, der Teilchenphysik. Dort begegnen wir dann sehr kurzlebigen Existenzen, Elementarteilchen, deren Lebensdauer so kurz ist, dass man sie nur über komplizierteste Experimente nachweisen kann. Den krassen Gegensatz dazu bilden Elektronen und Protonen, die praktisch ewig leben, weil ihr Zerfall gegen das Energieerhaltungsgesetz verstoßen würde. Das bedeutet letztendlich auch: Zeit und Energie stehen in einem engen Zusammenhang. Zeit existiert, weil Energie erhalten bleiben muss. In der Quantengravitation schließlich, die versucht, die Quantenmechanik und die allgemeine Relativitätstheorie zu vereinen, gibt es sogar Theorien, die ganz ohne Zeit auskommen.
Doch wie immer die Weltformel, nach der die Physiker suchen, nun aussehen mag, es ändert nichts daran, dass die von uns durchlebte menschliche Zeit ganz anderen Gesetzen gehorcht. Unser Leben, so Tonelli, ist eine „Gabe ohne Gegenleistung (…). Ob kürzer oder länger, ist sie uns als Gut bedingungslos anvertraut.“ (S. 252) Und damit beginnt, jenseits aller Physik, die Frage nach der Zeit erneut: „In Wahrheit wissen wir immer noch nicht, was die Zeit ist.“ (S. 252) Chronos, dieser geflügelte Gott der Zeit und Lebenszeit, hüllt sich nach wie vor in sein Geheimnis. Beim Nachdenken über die Zeit in der Physik allerdings ist Guido Tonellis Buch ein kluger und unterhaltsamer Begleiter.
Udo
Rainer Kirmse , Altenburg (Freitag, 06 Dezember 2024 17:20)
EINSTEIN UND DIE ZEIT
Zeit ist relativ,
man hat sie leider nie.
Einstein forschte intensiv,
offenbarte sein Genie.
Weltbekannt sein Resultat: E = m c ²
Er postulierte die Raumzeit,
den gekrümmten Raum als Neuheit.
Revolutionäres war gedacht,
Wissenschaft vorangebracht.
TEILCHENPHYSIK
Ewig bleibt steh'n keine Mauer,
nichts im Kosmos ist von Dauer.
So zerfällt nach einem Weilchen
auch noch das kleinste Teilchen.
Am Anfang war der Urknall.
Eine Singularität,
woraus Raum und Zeit entsteht,
das expandierende All.
Von den Nukleonen, winzig klein,
bis zum größten Galaxienverein;
wie alles ablief, weiß Gott allein.
So dachte wohl auch Albert Einstein.�
Es sind dabei die Galaxien
einander rasant zu entflieh'n.
Da ist keine Wende in Sicht,
irgendwann geht aus das Licht.
Dunkle Materie ist rätselhaft,
dunkle Energie nicht minder.
Das Wissen ist noch lückenhaft,
man kommt nicht recht dahinter.
Es braucht wohl wieder ein Genie,
gar eine neue Theorie.
Des Universums Architektur -
Was ist der Sinn von allem nur?
Rainer Kirmse , Altenburg
Herzliche Grüße aus Thüringen