Todtnauberg ist ein mythischer Ort in der Philosophie des 20. Jahrhunderts. Dort steht Martin Heideggers legendäre Hütte, in der er „Sein und Zeit“ schrieb, eines der großen Bücher der Philosophie.
„Todtnauberg“ ist auch der Titel eines der berühmtesten Gedichte von Paul Celan:
Arnika, Augentrost, der
Trunk aus dem Brunnen mit dem
Sternwürfel drauf, …
Das Gedicht hat Celan nach seinem Besuch am 25. Juli 1967 auf „der Hütte“ geschrieben. Es gehört neben der „Todesfuge“ zu Celans berühmtesten Gedichten, da es die Geschichte einer eigentlich unmöglichen Begegnung erzählt: Jüdischer Lyriker, dessen Eltern von den Nazis ermordet wurden, trifft deutschen Philosophen, der sich laut und aktiv zu Hitler bekannt hat.
Ihr Treffen ist bis heute geheimnisumwoben, mythisch, legendär, spektakulär. Im Oktober 2002, also 35 Jahre später, erschien in der Marbacher „Spuren“ Reihe (Heft 60) ein Bändchen von Axel Gellhaus, das sich dem Treffen widmete. Eine Teilauflage von 250 Heften entstand in Zusammenarbeit mit der Freiburger Buchhandlung „Zum Wetzstein“, die damals immer alle Bände der wachsenden Heidegger Gesamtaufgabe vorrätig hatte. Der Teilauflage war ein nummerierter und signierter Einblattdruck des Gedichtes mit einer Grafik des Sternwürfels von Josua Reichert beigelegt. Es gab eine signierte Fotographie des Sternwürfels und ein Typoskript des Gedichtes. Edel das alles. Todtnauberg 1967 war ein Ereignis von Rang, wollte man bedeuten.
So edel geht es jetzt bei Hans-Peter Kunisch nicht zu. Sein Buch „Todtnauberg“ ist eine wohltuend akribische Recherche aller drei Begegnungen von Heidegger und Celan zwischen 1967 und 1970, bei der sein Herz allerdings spürbar für Celan schlägt.
Was wir bei Kunisch miterleben ist die Geschichte einer Sprachlosigkeit zwischen zwei Sprachmächtigen. Die Sprache war beiden extrem wichtig, beide haben sie bis an die Grenzen i der Verständlichkeit gewogen und gebogen. Beide liebten auch Hölderlin, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
Aber beide hatten völlig andere Erwartungen an den jeweils anderen. Celan hoffte „auf eines Denkenden kommendes Wort“, wie es im Gedicht heißt. Heidegger sollte ihm erklären, was da 1933 bei ihm vorgefallen war. Warum hatte er gefunden, Hitler habe so schöne Hände, wie Heidegger einmal dem verdutzten Karl Jaspers sagte? Warum hatte er sich als erster nationalsozialistischer Rektor einer deutschen Universität exponiert? Warum die unsägliche Rektoratsrede? Und vor allem: Warum hatte Heidegger sich nie distanziert, sich nie entschuldigt?
Die Antwort darauf ist: Weil Heidegger seine Meinung nie geändert hat. Seiner Ansicht nach hatte er sich nicht geirrt. Er wurde nur einfach falsch verstanden und war allen Ernstes der Ansicht: „Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernährungsindustrie, im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagern, das Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Ländern, das Selbe wie die Fabrikation von Wasserstoffbomben.“ Das Zitat stammt aus dem Jahr 1949. Heidegger hatte nichts begriffen – oder man hatte ihn nicht begriffen. Ganz abgesehen davon war er immer Antisemit geblieben, wie die Schwarzen Hefte das heute belegen. Aber die kannte Celan damals nicht. Hätte er sie gelesen, wäre er nie zu Heidegger gegangen.
Heidegger selbst hoffte, durch Celans Besuch sein angekratztes Image weiter aufzupolieren. Wenn sogar einer wie Celan ihn besuchte, der Autor der „Todesfuge“, dann war das doch ein starkes Zeichen, dass man Heidegger nichts vorwerfen konnte. Und so ließ Heidegger sich gern von dem Freiburger Germanisten Gerhart Baumann als Ehrengast einladen, als Celan am 24. Juli 1967 im Freiburger Audimax vor über 1.000 Zuhörern las. Er organisierte sogar, dass alle Buchhandlungen in Freiburg die Werke Celans im Schaufenster hatten und schrieb sybillinisch an Baumann: „Schon lange wünsche ich, Paul Celan kennen zu lernen. Er steht am weitesten vorne, und hält sich am meisten zurück.“ Was immer das bedeuten soll. Und dann schlug Heidegger Baumann vor: „Es wäre heilsam, Paul Celan auch den Schwarzwald zu zeigen.“ Daraus wurde dann der Besuch auf der Hütte. An dem man sich freilich nichts zu sagen hat, sondern man schweigt sich zu. Celan formulierte das drastischer. In einem ersten Entwurf seines Gedichtes heißt es:
Seit ein Gespräch wir sind,
an dem
wir würgen …
Was über 50 Jahre später erstaunt, ist der hohe Ton, in dem man da einander zuschwieg und einander schrieb. Es wurde geraunt, bedeutet, gewinkt. Man lese Heidegger, Baumann, Erhart Kästner, Heinrich Wiegand Petzet … Sie wirken, als wären sie aus der Zeit gefallen. Dabei ist es das Jahr 1967: Benno Ohnesorg wird erschossen, in ganz Europa beginnen die Studentenunruhen, die sich auch um die Frage drehen, was die Eltern dieser Studenten im Nationalsozialismus gemacht hatten. Celan hatte wohl viel Sympathie und Verständnis für dieses kritische und für die NS-Vergangenheit sensible Deutschland, wie sein Briefwechsel mit der damaligen Studentin und späteren Professorin Gisela Dischner belegt.
Ganz zu Anfang seines Buches schildert Kunisch eine Szene, in der Celan und Heidegger durchs Moor gehen (was sie tatsächlich getan haben). Das Moor, denkt Celan, hebt die Zeit auf. „Alles ist Gegenwart. Auch Heidegger wird sich dem stellen müssen.“ Genau diese Hoffnung hat Heidegger für Celan und viele andere bitter enttäuscht, wie wir in Hans-Peter Kunisch‘ lesenswertem Bericht „Todtnauberg“ nachlesen können.
Hans-Peter Kunisch, Todtnauberg. Die Geschichte von Paul Celan, Martin Heidegger und ihrer unmöglichen Begegnung, dtv, München 2020
Udo