Klaus Berger: Schweigen. Eine Theologie der Stille

Wer mit spirituellen Büchern lebt, kennt das: Ein Regal mit den Büchern, die man nicht aussortieren würde, weil sie einen existentiell etwas angehen. Die erreichbar sein sollen, weil sie einen innerlich berühren. Die man ausschnittsweise und sehr bewusst wieder liest und die sich immer mehr erschließen. So ein Buch ist das posthum erschienene Schweigen. Eine Theologie der Stille des emeritierten Heidelberger Neutestamentlers Klaus Berger (* 25.11.1940 ; † 8. 06.2020). Es ist eine systematische Vernetzung von Texten zum Schweigen als Frucht eines jahrzehntelangen wissenschaftlich-theologischen und zugleich kontemplativ-liturgischen Lebens. Ein echtes Alterswerk mit allem, was im Idealfall dazu gehört: Erfahrung, Gelehrsamkeit, Tiefgang. Diese drei sind es auch, die mir Klaus Bergers 190 Seiten umfassendes Buch bei aller paradoxen Gegenteiligkeit von Schweigen und Worten wertvoll machen.

 

Einleitend erklärt Klaus Berger „Schweigen“ phänomenologisch als anthropologische Konstante, in der seine „Theologie der Stille“ gründet. Ihr Quellgrund ist der, wie Johannes Tauler ihn nennt,  „Brennpunkt des Daseins“. Zu ihm gelangt der Mensch schweigend, in ihm verweilt er wie in Zeitlosigkeit und darf mit den inneren Sinnen unerklärlicherweise die verborgene Gegenwart des „unsichtbaren und unfassbaren `Ich bin`“ wahrnehmen: „Man nimmt sie (bei vorhandener diesbezüglicher ´Musikalität´) wahr durch erahntes oder aufblitzendes Licht im eigenen Dunkel.“ Das so im Schweigen Wahrgenommene wird dann in einem nächsten Schritt vernetzt und gelangt ins Wort.

 

Darüber gibt es eine Fülle an Zeugnissen - Zeiten und Religionen übergreifend. Wie menschliches Schweigen und Gottes Wort insbesondere in der Wortreligion Christentum zusammengehen, ist eine überraschende  Erkenntnis für Klaus Berger am Ende seines Buches: Das Schweigen ist zentral für die Theologie, es ist „ein Weg und Modus der Offenbarung Gottes“.

 

Das Schweigen als „Weg“ der Begegnung mit Gott durchzieht die einzelnen Kapitel seines Buches. Jedes bildet eine Fundgrube an thematisch gut gewählten, spirituell-theologischen Dokumenten. Durch die Vernetzung mit einschlägigen anderen Quellen werden sie zum Sprechen gebracht. Dabei ist Berger ein profunder Kenner orientalischer, griechischer und lateinischer Texte christlicher Spiritualität, Mystik und Liturgie. Anhand von Dokumenten aus unterschiedlichen Zeiten, Epochen, und Traditionen erschließt er die folgenden Themen  (so die Kapitelüberschriften):

  • Menschen schweigen
  • Schweigende Kronzeugen
  • Stille und Schweigen in der Liturgie
  • Gott schweigt
  • Die Heimat der Stille
  • Schweigen und die Schöpfung
  • Sabbat und Sabbatstille
  • Das Weltgericht in der Mitte des Schweigens
  • Das Schweigen im Himmel
  • Die Geheimnisse in den Herzen und auf der Zunge

Kein Kapitel wird erschöpfend ausgeleuchtet, bei jedem gelangt man durch erneutes Lesen tiefer.

 

In einer Zeit, in der in Sozialen Netzwerken oder Talkshows jedes Thema bis zur Belanglosigkeit belabert wird, ist Schweigen ein quasi rebellischer Vorgang. Ein Buch über das Schweigen als Ort echter Sinnerfahrung durch die Zeiten hindurch ist also ein Stück Widerstand gegen Bedeutungslosigkeit. Auch deshalb finde ich Bergers Buch über das Schweigen. Eine Theologie der Stille ausgesprochen lesenswert. Es braucht Konzentration und es braucht das, wovon es handelt: Stille im Sinne der Abwesenheit von Lärm. Und Schweigen im Sinne von Rückzug von medialer Zerstreuung in die Stille und Konzentration auf das Geheimnis im Herzen. Also: Handy aus und schweigend lesen!

 

Klaus Berger: Schweigen. Eine Theologie der Stille. Freiburg, Basel, Wien: Herder 2021

 

Sabine

 

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